Leseprobe


Die jungen Wilden

Der konservative Planck konnte seine eigene Entdeckung nur schwer annehmen und glaubte, die alte physikalische Ordnung wieder herstellen zu können. Doch seine Hoffnung war vergeblich. Die Bühne war nun frei für die jungen Wilden, die offen waren für neue Ideen.

Einer von ihnen war Werner Heisenberg. Er wurde am 5. Dezember 1901 geboren – fast genau ein Jahr nach der revolutionären Entdeckung von Planck. Heisenberg begann im Sommer 1920 ein Physikstudium, obwohl er eigentlich Mathematik hatte studieren wollen. Sein Bewerbungsgespräch bei einem Professor war fürchterlich verlaufen. Es hatte schon nicht gut begonnen, denn der Hund des Professors hatte ihn durch lautes Bellen abgelehnt. Heisenberg entschloss sich daher, besser gleich Physik zu studieren.

Gleich zu Beginn seines Studiums lernte er Wolfgang Pauli kennen, mit dem er einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Quantenmechanik – die mathematische Beschreibung der Quantenphysik – nahm. Wolfgang Pauli wurde später von seinem Vorgesetzten als Genie bezeichnet, das mit Einstein vergleichbar sei. Heisenberg und Pauli hätten nicht unterschiedlicher sein können. Trotzdem wurden sie gute Freunde. In seiner Biografie Der Teil und das Ganze schrieb Werner Heisenberg über Wolfgang Pauli:

„Im Sommerfeld`schen Seminar gehörten die Gespräche mit Wolfgang Pauli zum wichtigsten Teil meines Studiums. Aber Wolfgangs Lebensweise war der meinen fast diametral entgegengesetzt. Während ich den hellen Tag liebte und alle freie Zeit wenn möglich außerhalb der Stadt auf Wanderungen im Gebirge oder badend und kochend am Ufer eines bayrischen Sees verbrachte, war Wolfgang ein ausgesprochener Nachtmensch. Er bevorzugte die Stadt, ließ sich gern abends durch den Besuch von amüsanten Aufführungen in irgendwelchen Lokalen anregen und arbeitete danach einen großen Teil der Nacht hindurch an seinen physikalischen Problemen mit höchster Intensität und großem Erfolg. Aber natürlich kam er dann, zu Sommerfelds Leidwesen, nur selten in die Morgenvorlesung und erst um die Mittagszeit ins Seminar. Diese Verschiedenheit unseres Lebensstils gab Anlass zu mancherlei Sticheleien, vermochte unsere Freundschaft aber nicht zu trüben.“

Pauli wiederum schrieb in einem Brief an Niels Bohr über Heisenberg (aus dem Buch Quanten von Manjit Kumar):

„Wenn ich über seine Ideen nachdenke, so kommen sie mir grässlich vor und ich schimpfe innerlich sehr darüber. Denn er ist sehr unphilosophisch, er achtet nicht auf klare Herausarbeitung der Grundannahmen und ihren Zusammenhang mit den bisherigen Theorien. Wenn ich aber mit ihm spreche, so gefällt er mir sehr gut und ich sehe, er hat allerlei neue Argumente – wenigstens im Herzen. Ich halte ihn dann – abgesehen davon, dass er persönlich auch ein sehr netter Mensch ist – für sehr bedeutend, sogar für genial und glaube, dass er die Wissenschaft noch einmal sehr vorwärts bringen wird.“ 

Im Juni 1925 ging es Heisenberg gesundheitlich ziemlich schlecht. Ein schwerer Heuschnupfen plagte ihn. Hinzu kam, dass seine Arbeiten an der Universität in Göttingen (Deutschland) ins Stocken geraten waren. Heisenberg entschloss sich daher, zwei Wochen Urlaub zu nehmen, um die Nordseeinsel Helgoland zu besuchen. Seinen Aufenthalt auf der Insel verbrachte er mit Klettern, Spaziergängen, Schwimmen und dem Lesen von Goethe. Einen Teil seiner Zeit widmete er sich seinem nicht gelösten wissenschaftlichen Problem.

In der Atomphysik hatte man das Bild eines verkleinerten Planetensystems schweren Herzens aufgeben müssen. Die Elektronen, die sich um das Atom bewegen, sind leider nicht mit Planeten vergleichbar, die um die Sonne kreisen. Sie haben eine ganz komische und verrückte Eigenschaft, indem sie an einem Ort einfach verschwinden und an einem anderen Ort wieder auftauchen, ohne Zwischenräume zu durchqueren. Dieses Phänomen wird als Quantensprung bezeichnet.

Heisenberg hatte die Idee, die Sprünge der Elektronen zwischen den verschiedenen Bahnen mit einer Art Tabelle zu beschreiben. Als er um drei Uhr morgens feststellte, dass er offenbar einen Formalismus entdeckt hatte, das Geheimnis atomarer Vorgänge zu beschreiben, war er aufgeregt und zugleich erschrocken. Da er nicht mehr schlafen konnte, kletterte er auf einen Felsen im Süden der Insel, um den Sonnenaufgang zu erwarten.

Seine Rechnungen hatten allerdings einen Haken. Heisenbergs Tabelle setzte ein komisches Multiplikationsgesetz voraus, so dass a mal b nicht gleich b mal a ist (z. B. ist 3 x 4 = 4 x 3). Über diese Tatsache war er ziemlich beunruhigt. Nach seiner Rückkehr hatte Heisenberg seinem damaligen Professor Max Born – ein Onkel der Schauspielerin und Sängerin Olivia Newton John – seine Überlegungen in Form einer schriftlichen Arbeit mitgeteilt. Born war so begeistert von Heisenbergs Arbeit, dass er einen Brief an Albert Einstein schrieb:

„Heisenbergs neue Arbeit, die bald erscheint, sieht sehr mystisch aus, ist aber sicher richtig und tief.“

Zum Glück hatte Born noch eine Eingebung. Ihm fiel eine Mathematikvorlesung ein, in der die Matrizenmultiplikation vorgestellt worden war. Bei dieser gelten nicht die uns bekannten Regeln der Multiplikation von Zahlen. Born machte Heisenberg darauf aufmerksam, worauf dieser damit begann, sich in dieses für ihn bisher unbekannte Gebiet der Mathematik einzuarbeiten.
Man entdeckte, dass die Matrizen Prozesse beschrieben und nicht mit üblichen Zahlen vergleichbar sind. Bei Prozessen ist die Reihenfolge sehr wohl von Bedeutung. Sie können dies selbst einmal ausprobieren. Klappen Sie dieses Buch zu. Nun schauen Sie auf das Buchcover und führen folgende Aktion durch (jeweils um 90 Grad). Drehen Sie das Buch nach vorne und dann nach rechts. Merken Sie sich die Position des Buches. Danach starten Sie das Ganze nochmals von der Ausgangsposition. Dieses Mal drehen Sie aber das Buch als erstes nach rechts und danach nach vorne. Merken Sie den Unterschied? Als Leserin oder Leser des E-Books können Sie diese Aktion selbstverständlich auch mit Ihrem E-Book Reader Tablet-PC oder Smartphone durchführen.

Heisenbergs Entdeckung war eine solche Umwälzung in der Physik, dass man ihm zu Ehren auf der Insel Helgoland eine Gedenktafel mit der folgenden Inschrift angebracht hat:

„Im Juni des Jahres 1925 gelang hier auf Helgoland dem 23-jährigen Werner Heisenberg der Durchbruch in der Formulierung der Quantenmechanik, der grundlegenden Theorie der Naturgesetze im atomaren Bereich, die das menschliche Denken weit über die Physik hinaus tiefgreifend beeinflusst hat.“

Mit der Entdeckung von Heisenberg war ein neues Zeitalter angebrochen, mit deren Hilfe innerhalb kürzester Zeit ein großer Teil der Quantenmechanik hergeleitet wurde. Die neue Physik des Atoms war gefunden worden.

Die Coen Brüder widmen sich in vielen Ihrer Filme ausführlich der Quantenphysik und was die Übertragung ihrer Prinzipien auf unsere Welt für uns bedeuten. Im Film The Man Who Wasn’t There ist der Rechtsanwalt Riedenschneider so von Werner Heisenbergs Theorie der Unschärferelation  (näheres hierzu später in Kapitel 9) beeindruckt, dass er zuversichtlich ist, mit Hilfe dieser Theorie den bevorstehenden Prozess gewinnen zu können (siehe z. B. hier). In A Serious Man – einem weiterer Film der Coen Brüder– begibt sich ein Quantenphysiker auf Gottessuche (siehe z. B. hier). Auch hier spielt die Theorie von Heisenberg eine zentrale Rolle. Beide Filme sind auch unabhängig von der Quantenphysik absolut sehenswert.

Eine erotische Affäre

Der Matrizenformalismus, den Heisenberg ins Leben gerufen hatte, wurde zu einem großen Erfolg. Allerdings hatte er den Nachteil, sehr unanschaulich zu sein. Viele Physiker sehnten sich nach einer Alternative zu dieser Theorie. Und ihre Sehnsucht wurde von einem 38-jährigen österreichischen Physiker schon wenige Monate später erfüllt.

Erwin Schrödinger war ein vielseitig gebildeter Mann, der mehrere Sprachen sprach, und sich auch für Malerei, Musik, Bildhauerei und Philosophie interessierte. Er war nach Aussage von Born ein höchst liebenswerter, amüsanter, gütiger und großmütiger Mensch. Schrödinger war aber auch ein ausgesprochener Frauenheld. Seine Ehefrau Anny und er hatten ständig Affären und führten nicht gerade eine Beziehung, die man als ein gut bürgerliches Leben bezeichnen konnte. Kurz vor dem Weihnachtsurlaub im Jahre 1925 hatten sich beide wieder einmal gezankt, weshalb sich Schrödinger für zwei Wochen zurückziehen wollte. Nicht ohne sich mit einer Geliebten in Arosa in der Schweiz zu verabreden, wo er ...



















 

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